20 Stunden für den guten Zweck: Ein Blick auf das innovative Arbeitszeitmodell der Tür an Tür Digitalfabrik
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Unser zweites Vorreiterunternehmen im TEILZEIT.TALENTE Talk war die Tür an Tür Digitalfabrik. Daniel Kehne, Mitgründer und CIO der Firma, hat uns einen Einblick in deren ungewöhnliche Arbeitsmodell gegeben.
Die Tür an Tür Digitalfabrik: Technologie für den guten Zweck
Die Tür an Tür Digitalfabrik, mit Sitz in Augsburg, hat sich der Entwicklung von Software für soziale Zwecke verschrieben. Mit Projekten wie „Integreat„, einer mehrsprachigen Informationsplattform für Zugewanderte, und „Lunes„, einer App zum Erlernen beruflichen Vokabulars, unterstützt das Unternehmen die Integration und Bildung von Migranten. Zudem arbeiten sie an der Digitalisierung von Sozialpässen für verschiedene Städte.
„Wir sind knapp 40 Leute, 25 davon sind Softwareentwicklerinnen“, erklärte Daniel. „Tatsächlich ordnet sich mehr als die Hälfte unserer Mitarbeitenden dem weiblichen Geschlecht zu.“ Diese Diversität spiegelt sich auch in der Arbeitsweise wider: Während etwa zehn Personen am Hauptsitz in Augsburg arbeiten, sind die übrigen 30 deutschlandweit verteilt.
Der Weg zur 20-Stunden-Woche
Was die Tür an Tür Digitalfabrik besonders macht, ist ihr ungewöhnliches Arbeitszeitmodell. „Alle Arbeitsverträge, die wir ausstellen, deckeln wir auf 20 Stunden“, erläuterte Daniel. Diese Entscheidung entstand zunächst aus der Notwendigkeit heraus, ehrenamtliche Mitarbeiter nicht zu verlieren. „Wir hatten Angst, diese Ehrenamtlichen zu verlieren, weil die Diskrepanz zwischen den Wochenstunden so extrem groß ist“, erinnerte sich Daniel.
Die Idee war, dass bei einer 40-Stunden-Woche Ehrenamtliche, die nur wenige Stunden pro Woche mitarbeiten, einen Großteil ihrer Zeit damit verbringen müssten, sich auf den aktuellen Stand zu bringen. Mit der 20-Stunden-Grenze wollte man dieses Problem umgehen und eine bessere Integration aller Mitarbeitenden ermöglichen.
Unerwartete Vorteile des Teilzeitmodells
Was als pragmatische Lösung begann, erwies sich schnell als Erfolgsmodell. „Als wir dann Stellen ausgeschrieben haben mit den 20 Stunden, haben wir extrem viele Bewerbungen bekommen“, berichtete Daniel. In einer Branche, die oft unter Fachkräftemangel leidet, konnte die Tür an Tür Digitalfabrik aus einem Pool von 30 bis 50 Kandidaten pro Stelle wählen.
Daniel betonte, dass dieses Modell natürlich nicht für jede Branche geeignet sei. „Das liegt eben auch an der IT-Branche, liegt daran, dass wir am Standort Deutschland sind und liegt einfach dran, dass wir natürlich auch ein soziales Thema bearbeiten“, erklärte er. Viele Bewerber seien bereit, für eine sinnstiftende Tätigkeit auf ein höheres Gehalt zu verzichten, solange die Grundbedürfnisse und die Altersvorsorge gesichert seien.
Flexibilität in Krisenzeiten
Ein unerwarteter Vorteil des 20-Stunden-Modells zeigte sich in Krisenzeiten. „Wir haben festgestellt, dass uns diese 20-Stunden-Regelung ermöglicht, in Krisenzeiten kurzfristig aufzustocken“, erklärte Daniel. Als Beispiel nannte er den Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, als das Unternehmen seinen Mitarbeitenden anbot, temporär auf 27,5 Stunden zu erhöhen.
Diese Flexibilität sei für beide Seiten von Vorteil. „Das war eine Möglichkeit, ja, da gibt es jetzt, kenne ich jetzt keinen anderen Arbeitgeber, der sagt, okay, ich bin zu meinen Mitarbeitenden mal kurz eine Möglichkeit Anfang 40 auf 47,5 hochzugehen, temporär“, so Daniel. Diese Anpassungsfähigkeit ermöglicht es dem Unternehmen, auf unerwartete Situationen zu reagieren, ohne die Grundphilosophie der begrenzten Arbeitszeit aufzugeben.
Vielfalt der Mitarbeitenden
Die 20-Stunden-Woche zieht eine breite Palette von Mitarbeitenden an. „Die typischen Mitarbeitenden, die wir haben, die gibt es, so glaube ich, in der Form gar nicht“, sagte Daniel. Von Pensionären, die ihr Wissen einbringen möchten, bis hin zu Eltern, die Beruf und Familie vereinbaren wollen – das Modell spricht verschiedenste Lebenssituationen an.
Besonders für Frauen sei das Modell attraktiv, da es eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermögliche. „Eine 40-Stunden-Woche funktioniert eigentlich nur in einem Patriarchat, also wo einer dann zu Hause bleibt, oder in einem utopischen Deutschland, wo wir genug Kita-Betreuungsplätze haben“, erklärte Daniel. Da beides nicht der Realität entspreche, biete das 20-Stunden-Modell eine praktikable Alternative.
Herausforderungen und Anpassungen
Trotz der vielen Vorteile bringt das Modell auch Herausforderungen mit sich. Eine davon ist die Frage der Gehaltsanpassung. In den Anfängen des Unternehmens konnten Mitarbeitende ihr Wunschgehalt nennen. „Wir haben einfach die Leute gefragt, was brauchst du denn netto, wenn du alles einkalkulierst?“, erinnerte sich Daniel. Diese Herangehensweise führte dazu, dass sich die Bewerber intensiv mit ihren finanziellen Bedürfnissen auseinandersetzten.
Mit der Zeit musste das Unternehmen jedoch zu einem strukturierteren Gehaltsmodell übergehen. Dennoch bleibt die Flexibilität ein zentraler Aspekt. Wenn Mitarbeitende mehr Stunden arbeiten möchten, wird dies individuell besprochen und kann in vielen Fällen ermöglicht werden.
Fazit: Ein Modell mit Zukunft?
Der TEILZEIT.TALENTE Talk mit Daniel Kehne zeigte, dass alternative Arbeitszeitmodelle nicht nur in der Theorie funktionieren, sondern in der Praxis erfolgreich umgesetzt werden können. Die Tür an Tür Digitalfabrik beweist, dass eine Begrenzung der Arbeitszeit auf 20 Stunden sowohl für die Mitarbeitenden als auch für das Unternehmen Vorteile bringen kann.
Natürlich ist dieses Modell nicht für jede Branche oder jedes Unternehmen geeignet. Es erfordert eine spezielle Unternehmenskultur, flexible Strukturen und ein Umdenken in Bezug auf Produktivität und Arbeitswert. Dennoch könnte es als Inspiration dienen für andere Organisationen, die nach Wegen suchen, um die Arbeitszufriedenheit zu erhöhen und gleichzeitig qualifizierte Fachkräfte anzuziehen.
In einer Zeit, in der die Work-Life-Balance immer mehr in den Fokus rückt und traditionelle Arbeitsmodelle hinterfragt werden, zeigt das Beispiel der Tür an Tür Digitalfabrik, dass innovative Ansätze nicht nur möglich, sondern auch erfolgreich sein können. Es bleibt spannend zu beobachten, ob und wie sich solche Modelle in Zukunft weiter verbreiten und welche Auswirkungen sie auf die Arbeitswelt haben werden.