Führen in Teilzeit

Teilzeit nervt: Welche Vorurteile gibt es und wie lassen sich diese entkräften?

Der Wunsch, in Teilzeit zu arbeiten, stößt in den meisten Organisationen bisher auf alles andere als Begeisterung. Umso wichtiger ist es, dass wir mal die Karten auf den Tisch legen!

Deswegen schauen wir uns an, welche gängigen Vorurteile es gegen Teilzeitarbeit gibt, an welchen dieser Vorurteile etwas dran ist und wie Teilzeitarbeit zum Erfolgsmodell für Mitarbeitende und Unternehmen wird.

Hier kommen die TOP 5 Vorurteile:

Menschen, die in Teilzeit arbeiten, sind weniger motiviert und engagiert in der Arbeit

Der Vorwurf: Arbeit steht nicht an erster Stelle im Leben von Teilzeitkräften. Der Erwerbsarbeit wird nicht alles untergeordnet: Es gibt beispielsweise Kinder, die betreut werden, Eltern, die gepflegt werden, ein Ehrenamt oder eine nebenberufliche Selbstständigkeit. Deswegen machen Teilzeitkräfte „Dienst nach Vorschrift“ und sind nicht sonderlich motiviert, da Wichtiges außerhalb der Arbeit ihre Tatkräft erfordert.

Unsere Einordnung: Dass Leben auch außerhalb der Arbeit stattfindet, spricht eher für eine motivierte und tatkräftige Persönlichkeit als für eine, die es geruhsam angehen lässt.

Tatsächlich ist auch das genaue Gegenteil des Vorwurfs richtig: In einer Studie haben 63% der befragten Führungskräfte angegeben, dass sie durch die Nutzung flexibler Arbeitsmodelle motivierter sind (2023: Karlshaus, Kaehler – Teilzeitführung: wissenschaftliche Impulse und aktuelle Praxisbeispiele).

Das hat auch positive Auswirkungen auf die Produktivität. Das Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur zeigt in einer Studie, dass Teilzeitarbeit Flexibilität und Produktivität fördert.

Teilzeitkräfte wollen sich nicht weiterbilden und entwickeln

Der Vorwurf: Menschen, die in Teilzeit arbeiten, haben mit ihrer Karriere abgeschlossen (Teilzeit = EDEKA Ende der Karriere) – sonst würden sie ja Vollzeit arbeiten. Deswegen lohnt es sich für Arbeitgebende auch nicht, in deren Weiterbildung und -Entwicklung zu investieren.

Unsere Einordnung: Das ist so pauschal in vielen Dimensionen einfach falsch.

Erstens haben Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedliche Bedürfnisse. Wenn ein Vater nach der Geburt seines Kindes erst einmal ein paar Jahre seine Erwerbsarbeit reduziert, sagt das nichts über dessen Karriereambitionen auf das gesamte Berufsleben gesehen aus.

Zweitens entwickeln sich Menschen auch außerhalb der Lohnarbeitszeit erheblich weiter: Elternschaft als Booster für die Entwicklung von ganz wesentlichen – auch für die Arbeitswelt gut nutzbaren – Fähigkeiten ist sogar das Thema von Unternehmen, wie zum Beispiel mycollective. Aber auch im Ehrenamt, im Side Business oder in der Pflege entwickeln Mitarbeiter Fähigkeiten und Perspektiven, die über traditionelle Weiterentwicklungsmaßnamen schwer auszubilden sind.

Drittens stimmt es zwar, dass Teilzeitkräfte weniger Weiterbildung wahrnehmen. Aber das liegt ganz wesentlich an den angebotenen Möglichkeiten. Zum Einen werden ihnen deutlich weniger Maßnahmen angeboten. Zum Anderen passen die Angebote oft nicht zur Lebenssituation von Teilzeitkräften. Zum Beispiel ist es für eine Mutter von einem Säugling sehr schwer möglich, auf eine fünftägige Führungskräfteschulung in Vollklausur zu fahren. In diesem Fall würden remote-fähige Formate deutlich mehr Anklang finden.

Führung in Teilzeit funktioniert nicht

Der Vorwurf: Führungpositionen sind oft mit einem erheblichen Arbeistaufwand verbunden. Außerdem müssen Führungskräfte für ihre Mitarbeiter da sein. Sogar Vollzeitkräfte machen oft Überstunden – wie soll das dann in Teilzeit gehen?

Unsere Einordnung: Johanna hat kürzlich sogar ein Buch veröffentlich, warum und wie das sehr gut möglich ist. Damit Führung in Teilzeit zum Erfolg wird, müssen aber Führungsaufgaben anders ausgefüllt werden als dies bisher in vielen Unternehmen der Fall ist, zum Beispiel:

Der Fokus muss auf den Ergebnissen und nicht auf die Arbeitszeit gelegt werden. Gute Vertretungsregelungen sorgen dafür, dass auch in Abwesenheit der Führungskraft entschieden werden kann. Gut strukturiertes und dokumentiertes Wissen machen Mitarbeiter:innen eigene Entscheidungen leichter.

Ein großer Vorteil von Teilzeitführung wird hier auch gleich offensichtlich: Die dafür notwendigen Strukturen und Prozesse machen das Arbeitsleben auch für alle Vollzeitmitarbeiter:innen leichter und angenehmer. So wird Teilzeitfreundlichkeit zum Produktivitätsbooster für die gesamte Organisation. Ganz nebenbei wird auch das Problem gelöst, dass Frauen viel zu selten Führungspositionen bekleiden wollen.

Menschen, die in Teilzeit arbeiten, sind teurer und aufwändiger in der Verwaltung

Der Vorwurf: Für die Mitarbeiterverwaltung ist es egal, ob jemand Vollzeit oder Teilzeit arbeitet. Die Kosten, zum Beispiel für die Lohnabrechnung, bleiben gleich. Deswegen sind Teilzeitmitarbeiter teurer, weil ich für die gleichen Kosten weniger Arbeit bekomme.

Dazu kommen noch die Meetingzeiten, die oft für Vollzeit- und Teilzeitkräfte ähnlich sind. Wenn für die Abstimmung zwei Stunden pro Woche notwendig sind, kriege ich bei einer 40-Stunden-Woche 38 Stunden „Nettoarbeit“ pro Woche und bei einer 20-Stunden-Mitarbeiterin nur 18.

Unsere Einordnung: Im Gegensatz zu den bisherigen Vorurteilen ist dieser Vorwurf grundsätzlich richtig. Die Frage aus unserer Sicht ist: Wie sehr fallen diese Kosten wirklich ins Gewicht im Vergleich zu den Fähigkeiten und der Leistung, die eine passende Besetzung der Stelle mit sich bringen würde? Sind die paar Verwaltungseuros wirklich entscheidend?

Die zur Abstimmung benötigten Meetings sind für viele Organisationen das Argument, um eine Untergrenze an Arbeitsstunden pro Woche festzulegen (zum Beispiel 12 oder 20 Stunden), unter der eine Anstellung wenig Sinn ergibt. Grundsätzlich ist eine gute Meeting-Disziplin einer der entscheidenden Schlüssel zu Produktivitätsgewinnen in Organisationen, wie auch die Studie zur 4-Tage-Woche gerade wieder gezeigt hat.

Teilzeitkräfte machen alles kompliziert, weil zum Beispiel Meetingszeiten um deren Verfügbarkeiten herum gebaut werden müssen

Der Vorwurf: Wenn alle die ganze Woche 9-to-5 arbeiten, ist es ein Leichtes, am Montagmorgen das so wichtige Teammeeting zu halten. Sobald eine Teilzeitkraft am Montag nicht arbeitet, geht die Suche nach dem optimalen Zeitpunkt los: Dienstag ist Kundentermin, Mittwoch ist jemand anderes nicht da, etc…

Außerdem ist es wichtig, dass der/die Kundenbetreuer:in zur Stelle ist, wenn die Kundin anruft. Sonst kann die Sache nicht direkt aus der Welt geschafft werden und das ist auch kein guter Service.

Unsere Einordnung: Eine Organisation darauf aufzubauen, dass alle immer verfügbar sind, ist kurzsichtig. Alle brauchen mal einen Urlaub, sind krank oder sind mal in einem anderen wichtigen Termin. Deswegen ist geteiltes und jederzeit abrufbares Wissen, zum Beispiel in einem guten Wiki, klare Prozesse, und schlüssige Vertretungsregeln so wichtig.

Unser Verständnis von Teilzeitfreundlichkeit umfasst nicht die Erlaubnis, dass jede:r sich immer die Arbeitstage und Zeiten aussuchen kann. Natürlich sind wir dafür, die Wünsche der Mitarbeitenden zu berücksichtigen. Allerdings sind auch die Erfordernisse der Organisation zu beachten – und da kann ein wöchentliches Team-Meeting dazugehören.

Fazit: teilzeitfreundliche Arbeitgebende sind moderne und produktive Organisationen

Die Vorwürfe gegen Teilzeitarbeit als Bremse für Organisationen lassen sich ausräumen. Aus unserer Sicht sind Teilzeitkräfte sogar eher ein Frühwarnsystem für Abläufe und Prozesse, die nicht rund laufen. Vollzeitkräfte können diese Probleme durch Zeit und Anwesenheit verdecken, Teilzeitkräfte nicht. Deswegen ist eine teilzeitfreundliche Organisation eine produktive Organisationen mit klaren Prozessen.

Wer auf dem Weg zur teilzeitfreundlichen Organisation Unterstützung benötigt, kann sich sehr gerne bei uns melden. Genau dafür sind wir da!

Dieser Beitrag basiert auf unserem ersten TEILZEIT.TALENTE Talk. Vielen Dank an alle, die dabei waren und mitdiskutiert haben. Hier finden sich die Slides.

Nachdem wir in unserem ersten TEILZEIT.TALENTE Talks auf die Argumente gegen Teilzeit geschaut haben, wollen wir in unseren nächsten Talks auf Vorreiterunternehmen blicken, die Teilzeitfreundlichkeit sehr gut umsetzen:

  • Cassini (IT-Beratung, am 12.11. um 12 Uhr),
  • Tür an Tür Digitalfabrik gGmbH (Open Source Software, am 19.11. um 12 Uhr) und
  • Acker (Bildung, tbd).

Wir freuen uns wieder auf zahlreiche Gäste und Fragen!