New Leadership – ‚Einfach‘ Mensch sein
Ich habe mich diese Woche mit einem relativ neuen Kollegen unterhalten. Im Gespräch kam die Aussage, dass er es toll findet, dass ich ihn dabei unterstütze als Mensch zu wachsen. Und nicht nur fachlich. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Und zwar darüber, was ich als Führungskraft anscheinend anders mache als manch andere.
Für mich geht es immer um persönliches Wachstum und Entwicklung. Denn das ist für mich die Basis für gute Arbeit. Nur wer als Mensch an sich arbeitet, kann auch besser im Job werden – davon bin ich überzeugt. Und ich weiß, dass wir in Deutschland traditionell ein anderes Verständnis von Arbeit haben. Im Job hat man professionell zu sein. Und das heißt: Der Mensch mit all seiner Persönlichkeit bleibt erstmal draußen. Bis zur Weihnachtsfeier zumindest.
Wir sind alle zuerst mal Mensch
In der Realität eine absurde Idee, die nicht gelingen kann. Wir alle sind zuerst mal Mensch. Auf diesem Menschen baut unsere berufliche Identität auf. Das ist nichts, was man voneinander abspalten kann. Wer das versucht, wirkt schnell komisch. Und wird nicht als authentisch wahrgenommen. Und Authentizität ist das, was viele Mitarbeiter*innen wertschätzen. Auch wenn das heißt, dass der Chef mit all seinen Schwächen und Macken vor uns sitzt. Und diese Menschlichkeit führt in Kombination mit Kompetenz zu Respekt – davon ich überzeugt. Eine hierarchische Position oder ein Titel alleine tun das nicht.
Ich verfolge diese Haltung aus Intuition heraus. Habe dazu aber lange Jahre mit mir gerungen. Darf ich so sein wie ich bin? Oder muss ich in eine berufliche Maske aufsetzten? Viele kleine Erlebnisse und die Rückmeldungen geschätzter Menschen haben dazu geführt, dass ich mich getraut habe, ich zu sein. Eine Erfahrung, die ich auch anderen wünsche. Dazu braucht es Mut und Menschen, die einem ehrliches Feedback geben. Das ist immer noch etwas, was in unserer beruflichen Welt nicht selbstverständlich ist. Manche Chefs verwechseln Feedback mit Lob. Andere sagen gar nichts, bis es zu spät ist. Echtes Feedback ist für mich ein kontinuierlicher Prozess zwischen Kollegen*innen, der sowohl positive Bestärkung als auch Wünsche für die Zukunft enthält. Dafür braucht es Zeit und Vertrauen. Und das muss ich mir erstmal erarbeiten, indem ich in Vorleistung gehe und anderen Vertrauen entgegenbringe. Und das ist leichter gesagt als getan.
Der lange Weg zur Feedbackkultur
Auch bei meinen Kollegen*innen nehme ich immer wieder wahr, dass Wünsche an mich manchmal zurückhaltend formuliert werden. Das steckt einfach tief in uns drin. Wer hat denn in der Schulzeit seinem Lehrer Feedback geben dürfen? Auch ich überlege mir immer noch zweimal, ob ich Dinge die mich stören, bei meinem Chef anspreche. Dabei ist die Fähigkeit wertschätzendes Feedback zu formulieren und entgegen zu nehmen eine Basiskompetenz, die jedes Kind erlernen sollte. Doch diese Fähigkeiten stehen nicht in den Lehrplänen der meisten Schulen. Dafür aber eine Menge anderes Zeugs, das keiner braucht. Das führt dazu, dass viele Trainer und Coaches ihr Geld damit verdienen Erwachsenen beizubringen, wie man sich etwas wünscht. Und wie man damit umgeht, wenn jemand anderes etwas von uns möchte. Das ist richtig und völlig legitim – könnten wir als Gesellschaft meiner Meinung nach aber auch einfacher haben.
Doch zurück zum authentischen Führen. In der Praxis bedeutet das, dass ich mich nicht hinter einer professionellen Maske verstecken kann, sondern als Mensch mit seiner ganzen Verletzlichkeit im Arbeitsalltag unterwegs bin. Das ist manchmal anstrengend, weil es schwerer fällt den professionellen Schutzschild hochzuklappen, falls es mal nicht so läuft. In den meisten Fällen ist es aber einfach nur schön und bereichernd. So wie das Gespräch mit dem Kollegen diese Woche.